Wie ich den Schwarzwald fürchtete
Geschrieben von Ute Kretschmer-Risché | Blog

Ich bin eine Ruhrgebietspflanze aus den 60er Jahren. Aufgewachsen zwischen Monte Schlacko, Fußball-Tempeln und Bergarbeitersiedlungen. Meine Natur waren Schrebergärten, das kleine Fleckchen Grün bei Omma und Oppa sowie der Kaisergarten mit seinen Zoo-Tieren. Doch dann kam das einschneidende Erlebnis. Quasi der Schock. Meine Eltern verkündeten unseren Umzug ins Gelobte Land: nach Baden-Württemberg. Oder wie sie sagten: „Freue dich, wir ziehen in den Schwarzwald.“ Freude? Ich fing sofort an zu weinen. Beide waren fassungslos ob meiner Reaktion. Warum plärrt das Kind?

Ich konnte meine Trauer, ja meine Ängste gar nicht in Worte fassen. Es war keineswegs die Furcht vor dem Umzug, der Wechsel auf eine andere Schule oder gar der Verlust meiner Freunde. Ich hatte einen realen Horror: Wenige Wochen vor der Offenbarung meiner Eltern hatten wir Post von einer Tante bekommen. Eine Ansichtskarte aus jenem ominösen Schwarzwald. Das Motiv: eine Frau mit Kind vor malerischer Kulisse. Beide trugen einen Bollenhut. Auf meine Frage damals: „Was ist das denn?“ antwortete meine Mutter sorglos: „Diese Hüte trägt man im Schwarzwald, auch wenn man in die Schule geht.“ Na ja, das war jedenfalls das Bild vom Pott von den badischen Bergen. Wahrscheinlich dachte ich damals: die armen Kinder!

Prompt hatte ich diese Karte bei der Umzugsankündigung wieder vor Augen: ICH SOLLTE KÜNFTIG SO EINEN HUT MIT BOLLEN TRAGEN?!! Kein Wunder, dass ich losplärrte. Schließlich gab es damals noch keine Möglichkeit, „Schwarzwald“ als Suchbegriff einzugeben und meine neue Heimat zu googeln. Dann hätte ich schnell erfahren, dass diese Tradition nicht alltagstauglich ist und regional nur sehr begrenzt eingesetzt wird. Mir jedenfalls blieb dieses Schicksal erspart.

Heute muss ich immer wieder daran denken und lächeln, wenn mir der Bollenhut begegnet. Längst wandelt sich das Image des Schwarzwalds und wird in seiner Symbolik modern umgesetzt. Vor ein paar Tagen war ich in einem kleinen Laden in Baden-Baden und stieß auf ein Sammelsurium an Devotionalien. Lustiges und Trendiges. Der Schwarzwald als Marke. Was die Amerikaner mit ihrem Indian Summer optimal vermarkten, klingt in der Ba-Wü Region aber noch immer eher abschreckend düster: Altweibersommer. Dabei ist die Pracht der Wälder nicht minder schön. Ziehen wir also alle los und erkunden die Freuden des Schwarzwalds. Begleitet von guten Ideen und Emotionen aus dem Marketing. Ich bin längst ein Fan und muss beim Begriff Schwarzwald nicht mehr weinen – sondern kann mich erfreuen.

Und welches Bild haben Sie vom Schwarzwald vor Augen? Bitte schreiben Sie mir.