Wie erreichen wir das „Pack“?
Geschrieben von Ute Kretschmer-Risché | Blog

Reden hilft. Mit diesem Satz bin ich groß geworden. Aber das stimmt nicht mehr. Der Satz muss ergänzt werden: Reden hilft, wenn wir die gleiche Sprache sprechen. Und da geht es los: Wie erreichen wir Menschen, die zwar Deutsch reden, aber uns nicht verstehen? Weil sie es nicht können und nicht wollen. Weil ihre Denke anders ist, ihr Wortschatz geringer und sie nicht geübt im Lesen und Schreiben sind.

Welche Wörter muss ich wählen, wie viele maximal und wie baue ich den Satz auf? Stichwort „Einfache Sprache“, auch auf immer mehr Internetseiten in einer Extra-Rubrik zum Anklicken. Zum Beispiel bei der Agentur für Arbeit, die Geringqualifizierte nur so erreichen kann. Müssen wir uns komplett umstellen? Erreichen wir die Mehrheit nur noch mit ganz simplen Texten? Denn was nützt mir der schönste Text, wenn ihn keiner liest?

Ich wundere mich immer wieder über undifferenzierte, faktisch falsche und polemisierende Aussagen. Aktuell: die Hetze gegen Flüchtlinge. Wir leben in einer Mediengesellschaft. Wenn ich will, kann ich mich mit den unterschiedlichsten Meinungen beschäftigen, Fakten sammeln und bewerten. Doch wenn ich das nicht gelernt habe, mich das sehr anstrengt und ich vieles nicht verstehe, bleibe ich bei ganz simplen Sätzen stehen: „Mir geht es schlecht. Um mich kümmert sich keiner. Um die Asylanten kümmern sich alle.“

„Bundespräsident Gauck nutzt die schärfste Waffe seines Amtes. Die Sprache.“ Ein Satz in der ARD. Gauck redet davon, welches Bild wir in Deutschland abgeben. Richtig und wichtig. Aber nur in eine Richtung. Bei den Hetzern und Pöblern ändert sich dadurch nichts. Natürlich begrüße ich jedes Bekenntnis gegen Rassismus. Aber was machen wir mit denen, die unsere Argumente nicht verstehen wollen und können? Wie gehen wir mit denen um? „Die sollen die ganze Härte des Gesetzes spüren“. Was heißt das? Bestrafen und wegsperren? Und was ist mit den Kindern der Hetzer? Haken wir diese nächste Generation bereits ab?

Wir sind das Volk der Dichter und Denker. Zumindest waren wir es. Wer hat jetzt die Macht der Wörter? Wer wortreich ist und differenziert argumentieren (?!!) kann? Oder wer eine platte Meinung auf ein Stück Pappe schmiert und vor einem Asylbewerberheim hochhält – und nur damit ankommt? Inhalt wird über Sprache transportiert. Inhalt braucht Form. Das WIE ist jetzt noch wichtiger als das WAS.

Dieser Beitrag enthält Wörter, die für mich selbstverständlich sind: Rubrik. Polemisierend. Differenziert… Wer aber nicht weiß, was das bedeutet, schaltet ab. Der liest keine Zeitung und hört keine Nachrichten. Wie soll er sich eine eigene Meinung bilden? Empathie (!!) entwickeln, wissen was Demokratie und Historie bedeuten. Er ist Freiwild für tumbe Parolen. Die sind simpel und VERSTÄNDLICH. Jeder braucht etwas, was er versteht, bei dem er mitreden kann.

Wir müssen wieder unsere Sprache pflegen. Genau überlegen, was wir wie sagen, schreiben und senden. Wir müssen Kindern Vorbilder sein und Wert auf gute Sprache legen. Dazu gehören auch Rechtschreibung, Satzbau, Grammatik und Wortschatz. Nur auf dieser Basis vermitteln wir auch Untertöne. Wir dürfen nicht nur SMS-Halbsätze oder Emoticons mit Smileys und Herzchen nutzen. Wir verlernen ansonsten, uns mit komplexen Texten und Inhalten zu beschäftigen. Weil es anstrengend wird und uns keinen „Fun“ bereitet. Damit können wir die komplizierte Welt mit ihren Problemen nicht mehr kapieren. Sprache ist Kommunikation ist Verständnis ist Toleranz ist Mitmenschlichkeit. Sprache ist für mich keine Waffe, sondern ein Instrument, das ich wie eine Geige stimmen muss. Dem ich wunderbare Töne entlocke, wenn ich damit übe und ihren Wert schätze.

Was meinen Sie? Bitte schreiben Sie mir.