Zahn an Gebissträger: bitte putzen!
Geschrieben von Ute Kretschmer-Risché | Blog

Wir leben mitten in einem Science fiction. Nicht ist ist unmöglich. Die Grenze ist höchstens die Fantasie – Moral und Ethik wohl nicht mehr. Blogger und Autor Sascha Lobo berichtete in Karlsruhe jüngst von neuesten Online-Trends. Manches macht sprachlos, manches schafft ein „Wow“, manches wirkt gruselig. Wir diskutieren darüber oft in unseren Team-Treffen. Was wir testen, was wir nutzen, was wir ablehnen. Aber auch was wir in unserem Umfeld für sinnvoll erachten und möglicherweise beruflich gebrauchen können. Diese Fragen stellen sich viele Unternehmen – mit den Antworten muss sich jeder einzelne auseinander setzen. Eines ist schon jetzt klar: Wir sind technik-affin, regelrecht technik-begeistert. Das blendet so manche Skepsis aus.

Ich habe vor ein paar Tagen eine alte TV-Aufnahme mit dem Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch gesehen. Er machte sich lustig, dass wir ohne mobiles Telefonieren nicht mehr auskommen. Ha! Die Aussage ist erst wenige Jahre alt und doch total veraltet. Das Wenigste, was ich mit meinem Handy mache, ist Telefonieren! (Wer braucht eigentlich noch eine Uhr oder eine separate Kamera?) Meine zig Apps ermöglichen mir eine ungeahnte Welt. Von der Kommunikation via WhatsApp, Threema, Viber oder Skype über Spritradar und Parkplatzsuche oder Soziale Medien bis hin zu Gesundheits-Angeboten. Mein Handy kann fast alles. Und was es noch nicht kann – wird die Aktion von morgen.

Die Fragen sind doch: Was wollen wir? Wie weit gehen wir? Wie weit lassen wir uns verführen? Haben wir noch Grenzen? Und vor allem: Was sind die Auswirkungen? Vor Kurzem las ich das Bedauern einer Schriftstellerin, dass Prepaid-Karten nur noch registriert, also mit Ausweis, gekauft werden dürfen. Sie meinte, dass ihren Krimis jetzt ein weiteres Spannungsmoment verloren geht. Klar, eine Petitesse im Sicherheits-Aufrüsten. Aber wir werden immer transparenter, das Intime, ja sogar Geheimnisvolle, geht verloren. Und wir machen (fast) alle begeistert mit. Kaum ein Protestaufschrei wie seinerzeit bei der Volkszählung, dem Mikrozensus. Was ging ein Raunen durch die Republik ob der Fragen nach der Kinderzahl von Frauen, dem Einkommen des Gesamthaushaltes oder was gegebenenfalls der Grund für Arbeitslosigkeit ist. Dahinter auch die Sorge, ein Nachbar könnte zu den Fragern gehören und plötzlich alles über einen wissen.

Mein zweites Ha! Was geben wir heute nicht alles freiwillig und mit größter Begeisterung preis. Und keinesfalls aus statistischen Zwecken mit Geheimhaltungspflicht, sondern ganz öffentlich. Für jeden sichtbar, für jeden zur Klatsch- und-Tratsch-Munition freigegeben. Über Soziale Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram. Aber auch indirekt können einen das Gesundheitssystem, Wirtschaftsunternehmen oder Verbraucherforscher auskundschaften. Ich bin Diabetikerin (oh, was gebe ich da preis?!!!) und messe meinen Blutzucker mit Teststreifen über mein iPhone. Die Auswertung geht an meinen Arzt; von ihm bekomme ich Tipps und neue Spritzanweisungen. Praktisch. Und was noch? Keine Ahnung. Ich glaube mal, dass er diese sensiblen Daten nicht an meine Krankenkasse oder an Anbieter von Diabetiker-Bedarf weiter gibt. Währung: Vertrauen.

Ich schätze diese praktischen Tools, um meinen Körperstatus bequem abzufragen. Erleichtern Sie mir doch das Leben. Stichwort Digitale Medizin. Da wird vieles auf uns zukommen. Medikamente, die sich im Magen auflösen und dem Arzt melden: brav eingenommen! Nein, das entstammt keinem SciFi-Roman, sondern der Realität. Meine E-Zahnbürste kann über Bluetooth (heißt es deshalb tooth??) einer speziellen App melden, welchen Zahn ich nicht ausreichend geputzt habe. Wer weiß, wann ich mit dem Putzprotokoll einen besseren Tarif bei der Krankenkasse bekommen kann. Alles, wirklich alles, wird angedacht, überdacht und neu gedacht. 3-D-Druker schaffen Ersatzteile für den Körper oder produzieren vegane Nahrung, die uns Fleischgeschmack auch optisch vorgaukeln. Klingt gut, nicht wahr?

Ständig höre ich: Andere Nationen seien in der Entwicklung und Nutzung viel weiter als wir Deutschen. Nirgendwo höre oder lese ich ernsthaft: Lasst uns darüber nachdenken und diskutieren, was die Digitalisierung für das Individuum und die Gesellschaft bedeuten. Was definieren wir als Grenze, wann ein Nachteil den Vorteil überwiegt? Und werde ich als Mahnerin nicht schon als Ewiggestrige gebrandmarkt? Keine Frage: Ich liebe mein Smartphone. Ein Tag ohne? Undenkbar? Gehöre ich auch schon in den Suchtbericht der Bundesregierung, der jetzt auch die Onlinesucht erfasst? Gut, ich höre jetzt auf, schließe mein iBook, lege mein iPhone zur Seite und gehe in die Natur. Sofort. Versprochen. (Aber nicht ohne zu kontrollieren, ob ich auch ja mein Handy eingepackt habe …).

Was meinen Sie? Bitte schreiben Sie mir (gerne auch mit einem altmodischen Brief):