Ey, Alter, sind die dick Mann!
Geschrieben von Ute Kretschmer-Risché | Blog

„Ey, Alter!“ Nein, das gehört nicht zu meinem Sprachjargon. Da müsste ich über Nacht viele Jahre jünger geworden sein. Zu meiner Zeit nervten wir Eltern und Lehrer mit Begriffen wie „Geil“ und „Cool“. Egal zu welcher Epoche, Jugendsprache will anecken und provozieren. Weitere Merkmale: verkürzen und Trends aufgreifen, so wie bei Anglizismen oder dem „Türk-Sprech“. Sprache ist immer auch ein Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen. Das kann man soziologisch oder auch etymologisch beäugen. Im positiven Sinne ist Entwicklung in einer Sprache durchaus Bereicherung.

Vor einigen Jahrhunderten waren es vor allem französische Begriffe, die Modewörter wurden. So genannte Gallizismen, par example: amüsieren, blamieren, Etage, komplett, Likör, Route, Toilette oder sogar Papa und Zigaretten etcetera. Für diese Wörter würde heute keiner getadelt werden. Wobei Trottoir (Gehsteig) nur noch von älteren Badenern verwendet wird oder Parapluie (Regenschirm) von älteren Schwaben. In jüngster Zeit galten Anglizismen als besorgniserregend.

Der Klang der amerikanischen Sprache animiert uns selbst zu eigenen Kreationen. Die bekannteste: das Handy statt mobile phone. Public Viewing eher nicht. Denn das bedeutet im Englischen „die Leichenschau“. Oder body bag, den es bei einer Parfümerie als Kosmetiktasche gab, was aber eigentlich ein „Leichensack“ ist. Umgekehrt verwenden andere Nationen deutsche Wörter in ihrem Sprachgebrauch: bekannt sind Kindergarten oder Waldsterben im Französischen oder Amerikanischen.

Wie stehe ich nun zur Jugendsprache? Sehe ich sie als Bedrohung? Ja und Nein. Als Vorsitzende bei IHK-Prüfungen ziehe ich (genau wie meine Kollegen) Punkte bei mangelhafter Ausdrucksweise ab (hier kaufmännischer Bereiche). Jetzt kann man sagen: Im technischen Bereich sei Sprache nicht so wichtig. Im Gegenteil: Hier nimmt die Sprachanforderung deutlich zu. Wir alle wollen (und müssen) verstanden und akzeptiert werden. Auch außerhalb von unseren gewachsenen Gruppen. Spätestens im Berufsleben.

Sprache lebt. Sprache muss ständig überdacht werden. Das gilt auch für uns professionellen Kommunikatoren. Wir müssen einfacher schreiben und reden (lernen), um alle zu erreichen. Ohne dass unsere Sprache der Dichter und Denker auf Comic-Niveau abdriftet. Ein verbaler Spagat. Für Menschen mit geringem Wortschaft und gering entwickelter Rhetorik wurde der Bereich „Leichte  Sprache“ entwickelt (drüber hatte ich erst kürzlich geschrieben). Gibt es z.B. auf der Internetseite der Agentur für Arbeit, damit auch Nicht-Sprachgebildete alles nachvollziehen können. 

Wir sehen gerade beim Erfolg der AfD: Die Partei erreicht weniger durch Inhalte als vielmehr durch verkürzte Slogans ihr Wählerpotenzial. Wer sich sprachlich nicht über den Tisch ziehen lassen will, muss Worthülsen und Wortverführungen erkennen. Alles hängt mit allem zusammen. Sprache in der Kommunikation ist das wichtigste Mittel in einer Gesellschaft. Wenn wir jemanden reden hören bzw. sein Schriftdeutsch lesen, schließen wir immer auf den Bildungs- und sozialen Status. Wer sich selbst nicht stigmatisieren will, sollte auf seine Ausdrucksfähigkeit achten. Die Frage ist: Kann er oder sie das überhaupt? Doch dazu mehr in meinem nächsten Blog.