Das große Scheitern im Kleinen
Geschrieben von Ute Kretschmer-Risché | Blog

Ich grüble seit 14 Tagen. Ist es endgültig vorbei? Was können wir noch tun? Woran ist es gescheitert? Wagen wir einen neuen Anlauf? Wie gehen wir mit dem Thema um? Wir sind das Analysieren gewohnt. Haben oft Plan B, C, D … in der Schublade. Doch hier würde wohl nicht mal ein Plan Z helfen. Wir haben ein Lehrstück deutscher Bürokratie erlebt. Rückblick: Im Sommer 2015  beschließen wir, einen Asylbewerber für Hilfstätigkeiten im Garten einzustellen. Damit beginnt die Posse, die mehr zum Heulen als zum Lachen ist.

Die Ausgangslage: Bei uns ist eine Stelle frei. Zwei Jahre lang hat ein Hartz-IV-Bezieher bei uns Rasen gemäht, den Hof gefegt, Mülltonnen gesäubert. Ordentlich angemeldet für 10 Euro Stundenlohn – 1,50 Euro über Mindestlohn. Im Rahmen des Kontingentes, was ein Hartz-IV-Bezieher zusätzlich verdienen darf. Als dieser mit 65 Jahren in Rente geht,  finden wir keinen Nachfolger. Es ist die Zeit, als viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Und wir über einen Kontakt unseres Kunden Caritas, die Bewerbung eines Asylbewerbers aus Gambia bekommen, der seit über anderthalb Jahren in Rastatt lebt. Wir entschuldigen uns, dass wir Lamin keine qualifiziertere Stelle bieten können. Dass es sich nur um 8 Stunden in der Woche handelt. Aber für ihn, so sagt er, sei es ein Anfang. Er wolle Arbeit, er sehe es als Chance. Wir unterhalten uns vor allem in Englisch und versichern ihm, dass wir auch mit ihm Deutsch lernen werden. Eine Win-win-Situation. Wie wir finden.

Das Procedere: Gemeinsam stellen wir – zusammen mit dem Flüchtling Lamin und seinem ehrenamtlichen Flüchtlingsbegleiter – einen Antrag (später einen zweiten). Mittels eines Formulars, das zeigt: Hier gibt es einen definierten Weg. So wie wir es in Deutschland gewohnt sind. Der Antrag wird beim Ausländerwesen der Stadt Rastatt eingereicht, die ihn wiederum an die zuständige Stelle, die Agentur für Arbeit in Duisburg weiter leitet. Ich habe dieses Procedere schon mehrmals auf unserer Internetseite, in Facebook, in unzähligen Mails und Gesprächen sowie im Interview mit dem SWR und den Badischen Neuesten Nachrichten beschrieben. Mit Verantwortlichen aus Behörden und Politik besprochen. Um es kurz zu fassen: Über Monate haben wir mit Ablehnungen und eigenartigen Begründungen gekämpft. 10 Euro seien zu wenig, mal fordert die Agentur für Arbeit 11,40 Euro Stundenlohn, mal sogar 12,90 Euro. Für Fegen und Rasen mähen. Alles ein Missverständnis räumt die Behörde schließlich ein und macht den Weg für 10 Euro Stundenlohn frei. Aber die gemeinsame Freude mit Lamin währt nur drei Tage. Am Tag der Vertragsunterzeichnung kommt alles anders.

Das Scheitern: Wir warten zusammen mit einer Vertreterin der Agentur für Arbeit Rastatt auf Lamin. Vergeblich. Seine Flüchtlingsbegleiterin informiert uns schließlich: Lamin komme nicht, er werde in seinem Heim unter Druck gesetzt. Er lebt in einer Unterbringung des Landratsamtes Rastatt. Dort verrichtet er für 1,05 Euro (!) Stundenlohn Tätigkeiten eines Hilfshausmeisters. Lamin ist ein netter Mensch, er packt an, wo immer es nötig ist, er führt aus, was immer man ihm sagt. An diesem Morgen sagt man ihm, wenn er bei uns unterschreibe, verpasse er eine große Chance auf Festanstellung beim Landratsamt (Weitere Aussagen von Verantwortlichen liegen uns nach Zeugenaussagen vor, wollen wir hier jedoch nicht ausbreiten). Lamin ist natürlich verunsichert. Er kommt der Aufforderung eines Behörden-Mitarbeiters nach und lässt sich zu Hilfsarbeiten in eine andere Einrichtung fahren. Ihm wird mal wieder erklärt, eventuell werde im März 2016 darüber entschieden, ob er fest zu ortsüblichen Bezügen beim Landratsamt angestellt werde. Betonung auf „eventuell“. Lamin ist gewohnt, Ansagen von Behördenvertretern zu folgen. Normal in seiner Situation. Für uns nicht normal: Der Vertrag kommt nicht zustande.

Die Begleiterscheinungen: Parallel erhalte ich einige Mails. Mitarbeiter von Behörden schildern mir bürokratische Unsinnigkeiten. Dass die linke Hand nicht wisse, was die rechte tue. Dass Gesetze und Verordnungen, unbürokratische Einstellungen und somit Integration verhindern. Dass es mitunter bei Entscheidungsträgern nicht nur eine Frage des Könnens, sondern auch des Wollens sei. Bei einer Veranstaltung in Gaggenau erlebe ich, wie ein hochrangiger Vertreter der Agentur für Arbeit an uns Unternehmer appelliert, Asylbewerber einzustellen. Ich bekomme via Facebook, viel Zustimmung, aber auch Beleidigungen. Die typische Gemengelage in dieser Zeit. In mehreren persönlichen Begegnungen werden unser Engagement und unsere Haltung gelobt. Doch für was? Weil wir einfach nur einen Flüchtling einstellen wollen? Weil wir bereit sind, die bürokratische Mühle zu durchlaufen. Das ist keine Leistung. Das ist eine Qual.

Unser Fazit: Außer Spesen nichts gewesen? Viel Erfahrung, viel Kopfschütteln, viel Ärger, viel Hilflosigkeit, ob und wie wir Lamin helfen können. Klar, er ist eine billige, willfährige Arbeitskraft für die Behörde bei 1,05 Euro Stundenlohn. Wie war das? Eine andere Behörde hatte von uns 12,90 Euro Stundenlohn gefordert?! Ich verfolge die Rede von Kanzlerin Merkel beim CDU-Parteitag in Karlsruhe. Sie erhält viel Zustimmung. Für grundsätzliche Ausrichtungen. Mein Applaus für das Behindern unseres konkreten und praktischen Integrationsvorhaben ist gleich null. Lamin ist nicht geholfen. Und wir haben noch immer eine unbesetzte Stelle. Das geflügelte Wort 2015: „Wir schaffen das!“ Wir? Schaffen? Das? Liebe Verantwortliche, dann kommt bitte schön mit realistischen Vorschlägen und Wegen, die den Flüchtlingen und uns Arbeitgebern auch wirklich helfen!

Was meinen Sie? Bitte schreiben Sie mir.

Das Foto entstand, als kurz feststand, wir können Lamin einstellen.